COPE-Jahreskonferenz 2024: „Let’s Talk to One Another – A Cross-Sectoral Approach for Children with a Parent in Prison“
Am 13. Juni 2024 fand in Berlin die internationale COPE-Jahreskonferenz unter dem Titel „Let’s Talk to One Another: A Cross-Sectoral Approach for Children with a Parent in Prison“ statt. Organisiert vom Treffpunkt e.V. in Zusammenarbeit mit COPE (Children of Prisoners Europe) brachte die Konferenz über 200 Expert:innen aus mehr als 20 Ländern zusammen. Vertreter:innen aus Ministerien, Justizvollzugsanstalten, Jugendämtern, NGOs, Bildungseinrichtungen und der Wissenschaft diskutierten über die Rechte und Bedürfnisse von Kindern inhaftierter Eltern. Ziel war die Stärkung eines sektorübergreifenden Ansatzes zur Unterstützung der Kinder von Inhaftierten, die mit erheblichen sozialen, emotionalen und psychologischen Herausforderungen konfrontiert sind.
Kontext und Ziele der COPE-Konferenz
Die COPE-Konferenz stellte die besonderen Bedürfnisse und Rechte von Kindern inhaftierter Eltern in den Mittelpunkt, deren Situation sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene oft vernachlässigt wird. In Deutschland sind schätzungsweise 100.000 Kinder von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen – die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Das bedeutet, es gibt mehr betroffene Kinder als Inhaftierte selbst.
Diese Kinder sind häufig mit sozialer Ausgrenzung, psychischem Stress und dem Stigma der Inhaftierung eines oder beider Elternteile konfrontiert. Obwohl das Bewusstsein für diese Problematik in den letzten Jahren gestiegen ist, fehlt es immer noch an umfassenden und ganzheitlichen Unterstützungsangeboten.
Daher wurde 2018 das Netzwerk Kinder von Inhaftierten (KvI) vom Treffpunkt e.V. aufgebaut. Es vereint eine Vielzahl von Akteur:innen aus Justiz, Jugendhilfe, Politik, Verbänden, freien Trägern, Wissenschaft und Kinderrechtsvertreter:innen, die mit betroffenen Kindern im Kontakt sind, für sie Verantwortung tragen oder die vulnerable Zielgruppe unterstützen möchten. Seit 2022 besteht ein Strukturentwicklungsprojekt (gefördert durch die Auridis Stiftung) mit dem Ziel, eine sektorübergreifende Zusammenarbeit zu fördern und die bestmögliche Entwicklung der betroffenen Kinder sicherzustellen. Das Netzwerk KvI umfasst die Bundesinitiative sowie Landes- bzw. Koordinierungsstellen in Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfahlen zusammen. Weitere Bundesländer sind im Gespräch.
Die COPE-Konferenz bot eine ideale Plattform, um diese Bemühungen durch internationale Best-Practice-Beispiele und innovative Ansätze zu stärken. Ziel war es, sektorübergreifende Lösungsansätze zu entwickeln, die den betroffenen Kindern sowie ihren Familien und den inhaftierten Elternteilen konkrete Hilfen bieten.
Kernforderungen zur Unterstützung von Kindern inhaftierter Eltern
- Verbesserung der Besuchszeiten und Unterstützung: Der UN-Ausschuss für Kinderrechte und das Ministerkomitee des Europarats haben klare Empfehlungen ausgesprochen, um die Situation von Kindern inhaftierter Eltern zu verbessern. Dazu gehören häufigere Besuchszeiten, kinderfreundliche Umgebungen und umfassende Unterstützung für Eltern und Kinder während und nach der Haftzeit.
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Die Konferenz betonte die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Justiz, Jugendhilfe und anderen relevanten Sektoren. Dies beinhaltet Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen für alle Berufsgruppen, die mit betroffenen Kindern in Kontakt kommen.
- Chancengleichheit und Ressourcen: Ein zentrales Anliegen ist die Sicherstellung der Chancengleichheit für alle Kinder von Inhaftierten, unabhängig von ihrem Wohnort. Dies erfordert ein abgestimmtes Vorgehen der Bundesländer und ausreichende finanzielle Mittel von Bund und Ländern.
Moderation und Grußwortredner
Nachdem Hilde Kugler, Geschäftsführerin Treffpunkt e.V. und Leitung Netzwerk KvI, die Teilnehmenden herzlich begrüßt hatte, folgten Grußworte von hochrangigen Vertreter:innen unterschiedlicher Institutionen. Christian Richard, Referatsleiter und stellvertretender Leiter der Abteilung III für Justizvollzug, Gnadenwesen und Soziale Dienste in Berlin, eröffnete die Reden, gefolgt von Dr. Meike Kazmierczak, Leiterin des Referats Kinderrechte im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zudem sprachen Margaret Tuite, Präsidentin von COPE, und Marc von Krosigk, Geschäftsführer der Auridis Stiftung.
Claudia Kittel, Leitung der Monitoring-Stelle zur UN-Kinderrechtskonvention (KRK) des Deutschen Instituts für Menschenrechte, führte als ausgewiesene Expertin im Bereich Kinderrechte durch den Tag. Mit ihrer langjährigen Erfahrung in der Überwachung der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland verlieh sie der Veranstaltung eine fachlich fundierte und zielgerichtete Struktur. Ihre Moderation ermöglichte es, die verschiedenen Perspektiven der Konferenzteilnehmenden auf die Rechte und Bedürfnisse der Kinder von Inhaftierten zusammenzuführen.
Ein Erfahrungsbericht: Die Stimme einer Betroffenen
Ein besonders bewegender Moment der Konferenz war der anschließende Erfahrungsbericht einer jungen Erwachsenen, die mit einem inhaftierten Vater aufgewachsen ist. Sie schilderte eindrucksvoll, wie schwer es war, mit dem Stigma und der Isolation umzugehen, die die Inhaftierung ihres Vaters mit sich brachte. Ihre Geschichte war eine eindrucksvolle Erinnerung daran, wie wichtig es ist, die Stimmen der betroffenen Kinder in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen.
Deutsche Perspektive: Fragmentierte Unterstützung und dringender Handlungsbedarf
Ein Schwerpunkt der Konferenz lag auf den besonderen Herausforderungen in Deutschland. Claudia Kittel und Judith Feige stellten die Arbeit der Monitoring-Stelle zur UN-KRK des Deutschen Instituts für Menschenrechte vor und beleuchteten die rechtlichen sowie strukturellen Defizite im Umgang mit Kindern inhaftierter Eltern. Sie wiesen darauf hin, dass es zwar klare Verpflichtungen aus der UN-Kinderrechtskonvention gibt, jedoch keine einheitlichen Standards existieren. So gibt es beispielsweise erhebliche Unterschiede bei den Besuchsregelungen der 16 Bundesländer. Während einige Bundesländer flexible Besuchsmöglichkeiten bieten, die es den Kindern erleichtern, den Kontakt zu ihrem inhaftierten Elternteil aufrechtzuerhalten, sind die Regelungen in anderen Bundesländern deutlich restriktiver. Justina Dzienko, stellvertretende Direktorin von EuroPris mit Sitz in Den Haag, Niederlande, ergänzte diese Perspektive und hob hervor, dass diese regionalen Unterschiede zu erheblichen Ungleichbehandlungen der betroffenen Familien führen und es den Kindern erschweren, eine stabile Beziehung zu ihrem inhaftierten Elternteil zu pflegen.
Beide Präsentationen unterstrichen die Notwenigkeit, diese Unterschiede zu überwinden und auf nationaler Ebene eine einheitliche sowie kindgerechte Regelung zu schaffen, um die Rechte der betroffenen Kinder nachhaltig zu schützen. Dafür bedarf es einer bundesweiten Richtlinie, die sicherstellt, dass alle Kinder die Möglichkeit haben, ihren inhaftierten Elternteil regelmäßig unter kindgerechten Bedingungen zu besuchen.
Der deutsche Ansatz des Netzwerk KvI: „Top-down“ und „Bottom-up“
In ihrer gemeinsamen Präsentation legten Hilde Kugler von der Bundesinitiative Netzwerk Kinder von Inhaftierten (KvI) und Ben Spöler von der Auridis Stiftung den Fokus auf den deutschen Ansatz, der eine Kombination aus „Top-down“- und „Bottom-up“-Strategien verfolgt. Sie betonten, dass die Umsetzung internationaler Empfehlungen, wie der UN-Kinderrechtskonvention und der Europaratsempfehlungen, durch nationale Maßnahmen unterstützt wird. Ein zentraler Aspekt ist die Zusammenarbeit zwischen Justiz- und Jugendhilfesystemen, um die Rechte von Kindern Inhaftierter zu stärken. Dabei geht es u.a. um die Verbesserung von Besuchsrechten, die Einrichtung kindgerechter Besuchsbereiche in Gefängnissen und die Förderung der Eltern-Kind-Bindung.
Die Auridis Stiftung, die sozialpolitische Projekte zur Unterstützung von Kindern in herausfordernden Lebenslagen fördert, stellte ihre Arbeit zur strukturellen Verbesserung von Unterstützungsangeboten für Kinder von Inhaftierten vor.
Innovative Praxisprojekte in Deutschland: Stärkung familiärer Bindungen
Wie Angebote für Kinder von Inhaftierten praktisch umgesetzt werden können, stellte Anja Seick, Freie Hilfe Berlin e.V. und Koordinierungsstelle Netzwerk KvI Berlin, vor. Der Freie Hilfe Berlin e.V. bietet seit vielen Jahren Projekte wie Elterngruppen, Spielzeugbau und Kreativworkshops in Berliner Gefängnissen an.
Zusätzlich unterstützt das Familienprojekt „aufGefangen“ betroffene Familien durch Beratungsangebote in fünf Männervollzugsanstalten und im offenen Vollzug. Freizeitaktivitäten, wie Spielplatzbesuche oder gemeinsame Gruppenreisen, stärken die Bindung zwischen inhaftierten Eltern und ihren Kindern. Durch regelmäßige Besuche, intensive Beratung und psychosoziale Betreuung wird die Bindung zwischen den Vätern und ihren Kindern gestärkt. Das Projekt zeigt, wie wichtig es ist, die familiäre Bindung auch während der Haftzeit zu pflegen, um den Kindern emotionale Stabilität und Unterstützung zu bieten.
Internationale Best-Practice-Beispiele und innovative Ansätze
Ein zentrales Anliegen der COPE-Konferenz war der Austausch internationaler Best-Practice-Beispiele, die den Schutz und das Wohl von Kindern Inhaftierter fördern.
Großbritannien: Zusammenarbeit von Polizei und freien Trägern
Ein Konferenzhighlight war die Präsentation von Sergeant Russ Massie, Thames Valley Violence Prevention Partnership, aus Großbritannien. Er zeigt in seinem Vortrag ein beeindruckendes und berührendes Video, in dem er mit Kindern und Jugendlichen sprach, die die Inhaftierung ihres Elternteils miterleben mussten. Er hob hervor, wie bedeutsam es ist, die Stimmen der Betroffenen zu hören, Vertrauen aufzubauen und das Bewusstsein für gemeinsame Prioritäten zu schärfen. Daher hat er ein innovatives Programm zur kindgerechten Gestaltung von Verhaftungen entwickelt. Ziel des Programms ist es, Verhaftungen so zu gestalten, dass sie für die Kinder weniger traumatisch sind. Diese Initiative zeigt, wie wichtig ein kindgerechter Ansatz in allen Phasen des Strafverfahrens ist – von der Verhaftung bis zur Inhaftierung der Eltern.
Portugal: Zusammenarbeit mit der Justiz
Chandra Gracias, Judge Central Civil Court of Lisbon, betonte die Bedeutung einer kindgerechten Justiz bei der Entscheidung, ob ein Kind persönlichen Kontakt zu einem inhaftierten Elternteil haben sollte. Unter Bezugnahme auf die UN-Kinderrechtskonvention erklärte sie, dass das Kindeswohl stets im Mittelpunkt stehen muss und in jedem Fall individuell unter Berücksichtigung der Ansichten und Bedürfnisse des Kindes zu bewerten ist. Dabei stellte sie den portugiesischen „3 C’s“-Ansatz (Wissen, Bewusstsein und Stärkung) vor, der darauf abzielt, die Auswirkungen von Verhaftungen auf Kinder zu minimieren und eine interprofessionelle Zusammenarbeit zu fördern.
Griechenland: NESTOR-Projekt
Christine Maerkl, Clinical Psychologist und Trainer in Correctional Services, erörterte die Herausforderungen und Lösungen für inhaftierte Väter in Griechenland. Sie wies auf die Überbelegung, die schlechten Bedingungen und den Mangel an Aktivitäten in den Gefängnissen hin und stellte das NESTOR-Projekt vor, dass das Ziel hat, die Elternkompetenz inhaftierter Väter zu stärken sowie die Familienbeziehungen zu verbessern. Zudem werden die Väter bei der Wiedereingliederung unterstützt.
Indien: Aangan Trust
Dr. Smita Dharmamer aus Indien stellte die Arbeit des Aangan Trust vor, einer Organisation, die Kinder von inhaftierten Müttern unterstützt. Der Aangan Trust setzt sich dafür ein, dass Mütter trotz ihrer Inhaftierung eine enge Bindung zu ihren Kindern aufrechterhalten können. Zu diesem Zweck schafft der Trust in den Gefängnissen mitfühlende und nicht stigmatisierende Umgebungen, etwa durch gemeinschaftliche Kinderkrippen und spezielle Familienräume. Solche Programme sind entscheidend, um den betroffenen Kindern emotionale Stabilität und Unterstützung zu bieten.
Niederlande: „Our Stories Matter“
Annelyn Smit und Marieke van Zwam stellten das Projekt „Our Stories Matter“ aus den Niederlanden vor, das auf die sinnvolle Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Politikgestaltung und Gefängnisreform abzielt. Zusammen mit Marieke van Zwam betonte Annelyn Smit die Bedeutung, die Stimmen der Kinder von Inhaftierten aktiv in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Das Projekt schafft Plattformen, auf denen Kinder ihre Erfahrungen teilen können.
Vernetzung und sektorübergreifender Austausch
Neben den Vorträgen bot die Konferenz auch reichlich Gelegenheit für den persönlichen Austausch und die Vernetzung der Teilnehmenden. In den Pausen sowie bei der anschließenden Spreefahrt wurden zahlreiche neue Kontakte geknüpft, die den Grundstein für zukünftige Kooperationen und gemeinsame Projekte legten.
Fazit: Sektorübergreifende Zusammenarbeit als Schlüssel
Die COPE-Jahreskonferenz 2024 hat deutlich gemacht, dass eine sektorübergreifende Zusammenarbeit unerlässlich ist, um die Situation von Kindern inhaftierter Eltern nachhaltig zu verbessern. Sowohl nationale als auch internationale Beispiele zeigen, dass durch innovative Programme und einen ganzheitlichen Ansatz positive Veränderungen erzielt werden können. Der Erhalt der familiären Bindungen während der Haft und die Förderung der psychosozialen Gesundheit der Kinder müssen als zentrale Prioritäten behandelt werden, um diesen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Ein zentraler Punkt war dabei die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung der Rechte der Kinder gemäß der UN-Kinderrechtskonvention. Um dies zu erreichen, müssen soziale Dienste, Justiz und Bildungseinrichtungen noch enger zusammenarbeiten. Die Konferenz hat gezeigt, dass es möglich ist, innovative Lösungen zu entwickeln, wenn alle beteiligten Akteur:innen an einem Strang ziehen.